top of page

Vogelgespräche

auf Persisch

Unser Mitglied legt eine Übersetzung eines Epos des persischen Dichters 
Farid ad-Din 'Attar vor. Eine Reise zur Selbsterkenntnis.

Von Otto Höschle

Die Vögel der Welt versammeln sich, um einen König zu erküren. Der klügste und erfahrenste von allen, der Wiedehopf, rät ihnen, den geheimnisvollen Vogel Sîmorgh aufzusuchen und zum König zu ernennen. Er wohnt im mystischen Qâf-Gebirge und verkörpert jene Vollkommenheit, die von einem König erwartet wird. Doch der Wiedehopf macht ihnen klar, dass die Reise zu ihm mit unermesslichen Gefahren, Entbehrungen und Leiden verbunden sein wird. Ein Vogel nach dem andern bringt seine Bedenken und Ängste vor, und der Wiedehopf entlarvt sie als Ausreden, als Zeichen von Trägheit und Schwäche, als Mangel an wahrem Willen, zum Sîmorgh zu reisen und Glück und Vollendung finden. Viele jener Vögel, die trotzdem den Mut aufbringen, die Pilgerschaft anzutreten, werden in den sieben Tälern, die es zu durchqueren gilt, entmutigt oder dahingerafft, so dass schließlich nur dreißig Vögel zum Sîmorgh gelangen. «Sî morgh» aber heisst auf persisch «dreissig Vögel»: Am Ziel angekommen, erblicken die Vögel sich selbst. Selbsterkenntnis als Gotteserkenntnis: Nur wer all seine Schwächen und Ängste überwindet, das alte Selbst ablegt und die beschwerliche Reise bis ans Ende bewältigt, vermag sich und Gott zu erkennen und eins zu werden mit der Wahrheit.

 

Der arabische Titel des persischen Epos – «Mantiq at-Tair» – ist ein Zitat aus dem Koran: «Und Salomo beerbte David. Er sprach: ‹Ihr Menschen! Der Vögel Sprache wurde uns gelehrt!›» (27:16). Mantiq ist zugleich die Sprache wie auch das Gespräch, wobei Letzteres dem Werk gerechter wird, diesem Dialog zwischen dem Wiedehopf als Wegweiser und den zögernden Vögeln. Der Wiedehopf ist es im Koran denn auch, mit dem Salomo spricht und der ihm als Bote zur Königin von Saba dient. Bei 'Attar ist er zugleich der Seelenführer hin zum Ersehnten, dem Sîmurgh, einem in vorislamische Zeit zurück reichenden Sagenvogel, vergleichbar mit dem legendären Phoenix der spätantiken und mittelalterlichen Tierbücher, einem Vogel also, der stets nur in einem Exemplar vorkommt und somit für das Eins- und Einzigsein («tauhîd») Gottes steht.

 

'Attars Epos verbindet koranische mit altpersischen Motiven zu einem stimmigen Ganzen und erschafft so einen neuen Höhepunkt in der Gattung des epischen Lehrgedichts. Mit einer durch Glaubens- und Fabelwelten inspirierten Geschichte den Menschen den rechten Weg zu weisen, ist die Absicht des Werks. Es ist der sufische Weg zum höchsten Sinn, zum Göttlichen, mit dem es sich am Ende zu vereinen gilt. Das aber ist nur unter großen Leiden möglich und verlangt schließlich gar die Selbstaufgabe, die Bereitschaft, der Diesseitswelt zu sterben und gänzlich in der Jenseitswelt aufzugehen. Die Stringenz, mit der 'Attar dabei ans Werk geht, erreichten weder sein Vorgänger Sana'î von Ghazna (1080–1157) noch sein Nachfolger Rûmî (1207–1273). Auch sie wählten die Form des Masnawî (des gereimten Doppelverses) und der Epos Rûmîs übertrifft die Vogelgespräche gar um ein Vielfaches an Versen, aber die verspielte, frei assoziierende und in sich uneinheitliche Form von Rûmîs «Masnawî-ye-Ma'nawî» («Doppelverse des Sinns») entbehrt bei aller poetischen Kraft und Raffinesse den klaren Handlungsverlauf des 'Attarschen Lehrgedichts. Was alle sufischen Lehrgedichte hingegen verbindet, ist die Vielzahl an eingeschobenen Erzählungen und Gleichnissen, durch welche die spirituelle Absicht des jeweiligen Kapitels exemplarisch veranschaulicht wird. All diese Geschichten und Legenden aus dem Koran, aus dem Leben der Sufiheiligen, der Gottesnarren und sinnlos Verliebten ersparen dem Publikum eine allzu trockene Belehrung und helfen ihm auf gleichnishaft unterhaltsame Weise, den Weg zu finden hinaus aus dem durch Triebe, Besitztum, Dünkel und Sünde verblendeten Diesseits. Im Jenseits, dem undefinierbaren Dort, wird auch der letzte Rest an Verblendung entschwunden und die illusionäre Schale des Selbst abgeworfen sein. Es bleibt der Wesenskern, und der wird eins mit dem Göttlichen. Dies den Suchenden auf Tausenden von Arten klarzumachen, ist seit ja die Aufgabe des Sufi-Scheichs, sei es mit den Mitteln der Predigt und des Traktats – oder aber mittels Poesie, vom Vierzeiler über das Ghazel bis hin zum belehrenden Epos.

 

Farîd ad-Dîn 'Attar lebte von 1126 bis 1220 n. Chr. im nordostiranischen Nîschâpûr, in Chorassân also, einer kulturell besonders bedeutsamen Region, die auch Gebiete des heutigen Afghanistans und Turkmenistans umfasst. Von seinem Leben wissen wir wenig; er war nicht, wie etwa Rûmî, ein gefeierter Gelehrter, sein Beiname 'Attar kennzeichnet ihn als Parfümhersteller, Drogisten und Apotheker, er ging also, wie viele Sufischeichs, einem handwerklichen Beruf nach. Düfte und Arzneien aber spielen in der Metaphorik der Sufis eine wichtige Rolle: Die göttliche Liebe trägt dem geneigten Gottsucher ihren Duft zu – und alle Wegweiser hin zu Gott sind Arznei für die Seele des Suchenden. Gemäß Legende starb 'Attar im Mongolenüberfall, der im 13. Jahrhundert weite Teile des mittleren Ostens überzog. Eine volkstümliche Anekdote aus seinem Leben ist seine Begegnung mit dem späteren Sufimeister und Dichter Rûmî im Kindesalter, dann nämlich, als dessen Familie aus Balch im heutigen Afghanistan nach Westen floh und in Nîschâpûr dem Scheich einen Besuch abstattete. Rûmî jedenfalls ließ sich von den Werken des Drogisten inspirieren, trotz allen oben genannten Unterschieden.

 

Dass 'Attars dichterisches Gesamtwerk, das ungleich breiter ist als jenes Rûmîs, die sufischen Lehren mit vielen Anekdoten und Gleichnissen «würzte», entspricht freilich einer allgemeinen Tendenz persisch-arabischen Erzählens, von dem im Westen vor allem die Geschichten aus «Tausendundeiner Nacht» berühmt sind. Erwähnt sei hier von 'Attars Werk, zu dem auch sufische Lyrik (Ghazelen etc.) gehört, eines seiner weiteren Lehrgedichte: «Das Buch der Leiden». In diesem zieht sich eine an Dante erinnernde Geschichte durch den ganzen Text, die mystische Seelenreise eines Sufi-Schülers, der an vierzig Stationen nach der Erlösung aus dem Leiden sucht, im Himmel, in der Hölle, bei den Engeln, Dschinnen und Menschen und sämtlichen wichtigen Propheten. Alle, selbst die Himmelsbewohner, malen ein finsteres Bild von ihrer Wirklichkeit, bis schließlich Mohammed den Rat gibt, nicht in der Welt, sondern in sich selbst zu suchen, um so im «Meer der Seele» zu versinken und mit Gott eins zu werden. Ähnlich pessimistisch wird die Diesseitswelt auch in den «Vogelgesprächen» samt den zahlreichen eingestreuten Erzählungen beschrieben. 'Attars Weltsicht ist somit wohl die konsequenteste Mystik überhaupt: Im Hier und Jetzt gibt es ebenso wenig Erlösung wie in Himmel und Hölle – die einzige Erlösung ist in der Versenkung zu finden, im Eintauchen der Einzelseele in die große Weltseele, was den Suchenden allerdings nicht leicht gemacht wird. Dieses Geworfensein in eine trost- und illusionslose Welt voll unerfüllter Sehnsucht erinnert an die Weltsicht der Existenzialisten, vor allem da, wo die Furcht vor der Hölle und die Hoffnung auf das im Koran beschriebene Paradies als weitere Illusion entlarvt werden. Wo die einzig wahre Erlösung harrt, gibt es weder Ort noch Zeit, nicht Ich noch Du. Jeder Rest des eigenen Selbst, der noch nicht abgeworfen wurde, hindert am befreienden letzten Schritt in den Nichtort, die Nichtzeit, das Nichtich, ins Einssein mit der Weltseele, modern gesagt: in die Singularität jenes «schwarzen Lochs», aus dem alles hervorgeht und in das alles zurückkehrt.

 

'Attars «Vogelgespräche», dieses für den Sufismus wie die persische Dichtung so wichtige Werk, endlich mit einer integralen und zugleich poetischen Übersetzung ins Deutsche zu würdigen, ist mein Anliegen gewesen. Obwohl die persische Form des Masnawî gereimte Doppelverse aufweist, habe ich mich (wie bereits für meine Übersetzung von Rûmîs Masnawî) für den Blankvers entschieden, dieses in deutscher wie englischer Dichtung so bewährte reimlose, fünffüßige Jamben-Metrum. Ist in gewisser Hinsicht jede Übersetzung, vor allem eines poetischen Texts, eine Verfälschung, so ist es das gereimte Übersetzen erst recht. In viel höherem Maße als im rein rhythmisch geprägten Blankvers muss sich der Reimvers den Zufällen, ja der «Willkür» des Wortschatzes fügen und gängelt so den Übersetzer bei seinem Vorhaben, dem Original möglichst gerecht zu werden. Andererseits scheint mir die Prosaübersetzung dem Original nicht angemessen zu sein, wenn auch auf andere Weise. Das Nachvollziehen des poetischen Duktus eines Texts kann zwar nie die Schönheit des Originals ersetzen – doch diese kann zumindest erahnt werden und jene Leserinnen und Leser ansprechen, denen außer dem bloßen Inhalt auch die sprachliche Form am Herzen liegt.

 

Der vorliegende Text ist das Vorwort der Übersetzung. Das Buch kann unter https://chalice-verlag.de/attar-vogelgespraeche-erste-vollstaendige-deutsche-versuebersetzung bezogen werden.

bottom of page